rsel war des Lebens müde. Die 80-Jährige erkrankte in ihrem hohen Alter an Krebs. Ärzte bezifferten die Heilungschancen auf null. Der Alltag fiel ihr immer schwerer, bis sie vor Schmerzen nur noch im Bett lag. Ihre Familie versorgte sie zwar gut, aber das machte die Situation für die alte Dame nur noch schlimmer. Ihre Tochter mit Mann und den zwei Kindern hätte nach Ursels Auffassung doch Besseres im Leben zu tun, als auf unbestimmte Zeit ihre Mutter rund um die Uhr daheim zu pflegen. Sie selbst empfand eh kaum mehr Freude am Leben. Und nachdem sich sogar Ursels Augenlicht verschlechterte, konnte sie sogar ihre Enkel kaum noch erkennen.
In letzter Konsequenz beschloss Ursel, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Sie aß und trank nichts mehr, was auch als Sterbefasten bezeichnet wird. Es war eine Selbsttötung auf Raten, aber sie verfehlte ihr Ziel nicht. Gewünscht hätte sich Ursel jedoch eine offizielle Suizidhilfe und Sterbebegleitung. Dann wäre es noch schneller und leichter gegangen. Doch ist Sterbehilfe in Deutschland überhaupt möglich? Wäre das nicht Euthanasie? Oder ist die Selbsttötung auf Verlangen nicht viel mehr ein Persönlichkeitsrecht? Ein Überblick über dieses Thema findest du hier!
Sterbehilfe in Deutschland: das sagt das Bundesverfassungsgericht Karlsruhe
2015 ist ein Verbot zur geschäftsmäßigen Sterbehilfe erlassen worden, gegen das Sterbehilfevereine, Ärzte und Betroffene geklagt haben. Ende Februar 2020 fällte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe dazu ein Urteil. Es entschied, dass ein Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe verfassungswidrig sei. Hier ein Auszug aus dem Urteil:
„Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben.“
Menschen dürfen sich Suizidhilfe suchen, aber diese muss freiwillig sein. Wer die Hilfe geben darf, steht nicht im Urteil. Es könnten daher Privatpersonen, Mediziner, Angestellte der palliativen Medizin oder auch Vertreter von Sterbehilfeorganisationen sein.
Was versteht man unter Palliativ?
Palliativmedizin ist die aktive, ganzheitliche Behandlung von Patienten mit einer fortschreitenden Erkrankung und einer begrenzten Lebenserwartung. Die Erkrankung kann nicht mehr geheilt werden.
Unter bestimmten Voraussetzungen ist die Beihilfe zur Selbsttötung in Deutschland damit straffrei. Der Grund hierfür ist, dass Suizid nicht strafbar ist und damit auch die Beihilfe zur Selbsttötung nicht. Für gewöhnlich bezieht sich die Suizidbeihilfe auf Personen, die sterbewillig und sterbenskrank sind bzw. unter nicht heilbaren, dauerhaften Schmerzen leiden. Wichtig hierbei ist, dass der Sterbewillige den letzten Schritt selbst geht, wie es beim Sterbefasten der Fall ist. Niemand darf, salopp ausgedrückt, der todkranken Oma das Essen verweigern. Der Begriff Sterbehilfe lässt Interpretationsspielraum, weswegen es wichtig ist, sich mit ihm näher zu beschäftigen.
Was ist geschäftsmäßige Sterbehilfe?
Hiermit ist gemeint, dass eine Person sich an einen Arzt oder eine Institution mit dem Wunsch zu sterben widmet. Mediziner oder Organisationen würden dann der Person ein tödliches Mittel geben, damit sie selbstbestimmt sterben kann. Geschäftsmäßig bedeutet in diesem Zusammenhang nicht kommerziell. Vielmehr ist damit eine „auf Wiederholung angelegte Handlung" gemeint.
Was ist aktive Sterbehilfe?
Hiermit ist gemeint, dass eine andere Person den Tod der sterbewilligen Person aktiv herbeiführt. Dies kann beispielsweise durch die Gabe eines tödlichen Medikaments geschehen. Juristen sprechen in diesem Zusammenhang auch von „Tötung auf Verlangen“. Sie wird in Deutschland mit sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug bestraft.
Was ist passive Sterbehilfe?
Die passive Sterbehilfe ist das Gegenteil der Übertherapie. Anstelle den sterbewilligen Kranken mit aggressiven Therapien zu versorgen, die mehr schaden als nützen, wird auf lebensverlängernde Maßnahmen verzichtet. Darunter fällt auch ein Verzicht auf:
- künstliche Ernährung
- Bluttransfusion
- Beatmung
Die passive Sterbehilfe ist bereits seit 2010 straffrei, sofern sie der Wunsch des Patienten ist. Am besten kann der Betroffene diesen Wunsch mithilfe einer Patientenverfügung ausdrücken. Leider kommt es gelegentlich vor, dass Ärzte diese missachten.
Was ist indirekte Sterbehilfe?
Bei der indirekten Sterbehilfe geht es darum, die verbleibende Lebenszeit des Patienten erträglicher zu machen. Durch die dafür verschriebenen Medikamente kann sich allerdings die Lebenszeit verkürzen. In Deutschland ist die indirekte Sterbehilfe erlaubt.
Wie steht es mit dem Schutz des Lebens?
Der Staat steht in der Pflicht, das Leben jedes Einzelnen zu schützen. Dies ist ein Rechtsgut. Beim Thema Sterbehilfe müssen – ähnlich wie bei der Abtreibung – daher verschiedenste Rechts- und Freiheitsansprüche miteinander vereint werden. Der Gesetzesgeber ist nach dem Bundesverfassungsgericht dazu verpflichtet, dieses Spannungsverhältnis zu lösen: „Die staatliche Schutzpflicht bedarf der Ausgestaltung und Konkretisierung."
Wie steht es um die Sterbehilfe und Freitodbegleitung in anderen Ländern?
Ein Blick auf die Benelux-Länder und die Schweiz zeigen, dass ein anderer Umgang mit Sterbehilfe und Freitodbegleitung möglich ist. Diese Staaten sind Pioniere im Bereich des „Tötens auf Verlangen“. So ist in den Niederlanden seit 2002 die aktive Sterbehilfe erlaubt, geht aber mit strengen Auflagen einher. Luxemburg und Belgien passten sich an. Dort ist sogar die die Sterbehilfe für psychisch Schwerkranke erlaubt, die ihr Leben als schmerzerfüllt und würdelos empfinden. Diese Regelung zur Selbstbestimmung des Todeszeitpunktes ist stark umstritten.
In vielen weiteren europäischen Ländern sind die Suizidbeihilfe und die aktive Sterbehilfe nicht erlaubt. Die passive Sterbehilfe ist nicht nur in Deutschland, sondern auch in diesen Ländern möglich:
- Österreich
- Frankreich
- Großbritannien
- Irland
- Dänemark
- Italien
- Spanien
- Ungarn
- Slowakei
Griechenland, Kroatien und Albanien haben keine Regelungen per Gesetz bezüglich der passiven Sterbehilfe getroffen. Sehr restriktiv geht Polen mit dem Thema um. Bis zu fünf Jahre Gefängnis stehen auf Mord auf eigenen Wunsch oder Beihilfe zum Suizid vor. Über passive oder gar aktive Sterbehilfe wird öffentlich so gut wie gar nicht diskutiert. Initiativen diesbezüglich sind allerdings vorhanden.
Hat die Sterbehilfe Einfluss auf die Unsterblichkeit?
Unter den schärfsten Kritikern der aktiven Sterbehilfe finden sich Vertreter der großen Religionen. So argumentieren beispielsweise Sprecher der deutschen Bischofskonferenz: „Die katholische Kirche spricht sich nachdrücklich gegen alle Formen der aktiven Sterbehilfe und der Beihilfe zur Selbsttötung aus. Sie ist der Überzeugung, dass der Staat dann ein würdevolles Sterben ermöglicht, wenn er die flächendeckende medizinische und pflegerische Begleitung Schwerstkranker und Sterbender in den Mittelpunkt stellt und nach Kräften fördert.“
Einige Religionsvertreter gehen sogar so weit, dass durch eine Selbsttötung – aus welchen Gründen auch immer – dem Betroffen die göttliche Unsterblichkeit verweigert werden würde. Es wären Sünder. Dem liegt eine enge religiöse Vorstellung von der Unsterblichkeit und dem Jenseits zugrunde.
Wird der Tod jedoch als Übergang in eine andere Energieform gesehen oder als Ende einer physikalischen Lebensform und dem Eintritt in einen neuen (Baby-) Körper, dann ist es unerheblich, wie der Einzelne starb. Er ist und bleibt unsterblich.
Dieser Artikel enthält Links zu den folgenden Beiträgen:
- (Un-)Sterblichkeit: Gibt es ein Leben nach dem Tod?
- (Un-)Sterblichkeit - Wie mit dem Tod auseinandersetzen?
- (Un-)Sterblichkeit - Werde ich wiedergeboren?
- (Un-)Sterblichkeit - was passiert, wenn wir sterben?
_________
Photo by Danie Franco on Unsplash