ie Digitalisierung und KI bereichern unser Leben in vielen Bereichen, doch sie offenbart auch auf vielfältigste Weise, wie arm einige technische Weiterentwicklungen an Seelenleben sind. So hat sich Microsoft Anfang 2021 ein Patent gesichert, mit dem über ein Chatbot Kontakt mit längst Verstorbenen möglich wäre.
Ein virtuelles Leben für ein ewiges Leben?
Wer jetzt glaubt, der Megakonzern für Software und Hardware würde mit dem Patent ins Paranormale abtauchen, der täuscht sich. Hiermit ist kein Zugriff auf das Jenseits oder eine parallele Realität gemeint. Vielmehr soll aufbauend auf der früheren Existenz eines Menschen ein Chatbot geschaffen werden, der die Gewohnheiten und Eigenheiten der verstorbenen Person widerspiegelt. So soll eine digitale Seele erschaffen werden, was einem Affront gleicht. Bereits die Bezeichnung „digitale Seele“ ist niederträchtig, denn mit Seele hat dieses Konzept nichts am Hut.
Oder glaubst du, ein Bot mit maschinell generierten Worten könnte dir so liebevoll „Gute Nacht, Liebling“ zu flüstern, wie dein verstorbener Mann?
Du suchst einen ehrlichen Ratschlag deiner toten Mutter? Der Bot kann dir keine „beseelte“ Antwort geben, die von den verständnisvollen Augen der Mama begleitet wird. Die künstliche Intelligenz kann kein Ich kreieren.
Klonen: eine schlechte Kopie
Ein Bot soll die Untersterblichkeit der Seele ermöglichen. Doch das kann nicht funktionieren, denn die Seele ist für sich bereits unsterblich. Sie ist ein Unikat und beinhaltet den Gesamtbereich des Empfindens und Erlebens. Wie lässt sich das kopieren? Im eigentlichen Sinn der Seele ist das nicht möglich. Microsoft entwickelt lediglich ein Bot, der den Charakter und die Art und Weise widerspiegeln, wie der Verstorbene zu Lebzeiten war. Auf diese Weise soll der Mensch für die Nachwelt erhalten bleiben und die Trauer der Angehörigen minimieren. Doch reduziert dies wirklich die Trauer? Vermissen wir nicht die Seele und den Menschen an sich und nicht nur sein gesprochenes Wort? Die Entwickler von Microsoft sind der Ansicht, die Bots könnten eine nachvollziehbare und reproduzierbare Begegnung mit dem Toten bieten. Doch wer empfindsam ist und weiß, was eine Seele ist und sie spürt, der sieht darin nur eine technische Degradierung des Daseins.
Der Mensch stirbt, die Maschine überlebt
Bei dem Bot geht es um ein technisches Überleben und um eine seelenlose Unsterblichkeit. Damit wird einem Menschheitstraum hinterher gehechelt, der in unzähligen wissenschaftlichen Büchern und Science-Fiction-Romanen thematisiert wird. Die Ägypter mumifizierten Menschen. Einige Personen lassen heutzutage ihr Gehirn einfrieren und hoffen darauf, in einer fernen Zukunft mit einer besseren Technik aufgetaut zu werden. Microsoft geht es um das Überleben in Bits und Bytes. Mit Unsterblichkeit hat dies nichts zu tun. Warum? Weil die eigentliche Essenz der Unsterblichkeit – die Seele – sich durch den Computer nicht einfangen lässt.
Menschen sind viel mehr als nur Daten, die sie in der digitalen Welt hinterlassen. Sie lassen sich nicht auf messbare Interaktionen reduzieren.
Wie oft haben dich Menschen auf die eine oder andere Weise mit ihrem Verhalten überrascht. Die Menschen sind nicht exakt messbar und computergesteuert und sollen es auch nie werden. Zudem entwickeln sie sich weiter oder sogar zurück. Wie lässt sich das mit einem Bot nachbilden? Er kann nichts selbst empfinden. Er ist seelenlos. Ein duplizierter Avatar kann damit keine Transformation von der Raupe zum Schmetterling sein. Sein künstlich erschaffenes Konstrukt hindert ihn daran.
Ein digitaler Speicher schafft keine Unsterblichkeit
Unser Körper verändert sich fortlaufend. Gewebe baut sich ab und Zellen sterben. Auch psychisch durchlaufen wir einen andauernden Wandel. Erfahrungen und Erkenntnisse formen uns und unsere Erinnerung. Wir haben die Möglichkeit, einen neuen Weg einzuschlagen oder bei alten Pfaden zu bleiben. Äußere Einflüsse beeinflussen unser Sein und unseren Lebensweg mehr oder weniger. Nicht grundlos wird der Verlauf des Lebens gern mit einer Achterbahnfahrt verglichen. Es geht auf und ab. Hierzu gehört auch, dass wir vergessen. Das Vergessen gilt gemeinhin als etwas Schlechtes, aber das ist es nicht immer. Große Denker bezeichneten es gar als „Form der Freiheit“. Wie vergisst ein Chatbot? Und wie wählt er aus, was er vergisst?
Die digitale Ewigkeit geht und kann auf diese Aspekte einer Persönlichkeit nicht eingehen.
Sie verwechseln einen digitalen Speicher von Erinnerungen und Eigenschaften mit der Unsterblichkeit. Es ist nicht möglich, die Persönlichkeit eines Menschen und seinen Geist sowie seine Seele digital einzufangen. Den Menschen technisch zu „entkörpern“ und dadurch ein ewiges Substrat von ihm zu schaffen, ist ein Frevel. Er entspringt dem Übermut und dem Anspruch der Wissenschaft an seine eigene Göttlichkeit.
Auf der falschen Ebene
Die Unsterblichkeit in einem Haufen von Daten oder Zellen zu suchen, ist zum Scheitern verurteilt. Eine moderne Datensammlung kann nichts Menschliches haben. Menschen und Daten befinden sich nicht auf der gleichen Ebene. Tod und Leben lassen sich nicht mit einem An- und Ausschalter eines Computers gleichstellen. Stattdessen sind sie Teil einer analogen Welt. In dieser Welt existieren Übergänge in einem fortlaufenden Kontinuum. So wissen wir: Leben und Tot sind keine Gegenspieler. Der Tod beendet das Leben im physischen Körper. Er lässt die Hülle der Seele sterben.
Erinnerungen digital zu speichern, ist per se nichts Schlimmes, sofern wir sie nicht mit der Unsterblichkeit verwechseln bzw. gleichsetzen.
Ein virtuelles Erinnern erlaubt einen Zugang zu wertvollen Daten zu haben. Mit dem Erinnern negieren wir nicht den Tod, sondern wir können Erinnerungswürdiges bewahren. Doch tun wir dies nicht bereits mit Fotos oder Briefen vom Toten? Wozu benötigen wir ein Bot, der versucht, den Toten nachzuahmen?
Und dann wäre da noch eine wichtige Frage: Wer darf auf unsere Daten nach unserem Tod zugreifen?
Wozu das digitale Überleben?
Denk kurz über dein eigenes Leben nach. Bist du in den sozialen Netzwerken aktiv? Was wird dort aus deinen Daten, wenn du stirbst? Was passiert mit deinen Daten, die Google von dir sammelt? Was soll von dir digital bleiben, wenn du tot bist? All dies sind Fragen, mit denen wir uns auseinandersetzen sollten und müssen. Darüber hinaus steht eine weitere Frage im Raum: Wieso wollen manche Menschen digital weiterleben? Was haben sie davon? Wäre es nicht wichtiger, sich auf das jetzige Dasein zu konzentrieren und das Beste daraus zu machen? Dein Leben sollte kein Algorithmus werden und sich auch nicht daran orientieren. Du entscheidest selbst, was wertvolle Erinnerungen sind und wie du aus deinen Erkenntnissen Lehren ziehst. Das digitale Überleben kann rasch zum Gegenspieler des realen Lebens werden. Wir kennen dies bereits durch ein Dasein, das manche Menschen nach folgendem Motto führen: „Was nicht auf Instagram ist, ist nicht passiert.“ Möchtest du das?
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