ch glaube an die Unsterblichkeit, nur nicht hier auf Erden.“ Diese Worte meiner Mutter brannten sich in mein Gedächtnis ein und geben mir Kraft, jeden Tag mit einem zaghaften und dankbaren Lächeln zu beginnen. Sie ist immer bei mir, und es ist mir ein großer Trost, dass sie ihren Tod selbstbestimmt wählen durfte. Leicht war dies nicht, aber es geht bei der Sterbehilfe – meiner Ansicht nach – in erster Linie um den Betroffenen und sein Leid. Meine Mutter stets mit großen Schmerzen zu sehen, war belastend. Ich hätte es durchgehalten, aber hätte sie es tun müssen? Ich finde Nein, weswegen ich der Sterbehilfe der Schweiz dankbar bin. Sicherlich ist dies keine pauschale Antwort auf jedes Leid, aber eine Option für manches Leid.
Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs
In meiner Familie sind bereits viele an Krebs verstorben. Angst, selbst zu erkranken, habe ich nicht. Das hatte meine Mutter auch nicht, aber im Hinterkopf war das erhöhte Krebsrisiko immer präsent. Als sie schließlich mit 72 Jahren die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs erhielt, war es zwar ein Schock, aber dennoch keine vollkommen unerwartete Überraschung. Sie nahm die Worte des Arztes mit Fassung auf. Ein bisschen Erleichterung schwang mit, denn nun wussten wir, woher ihre Beschwerden stammten. Damals glaubten wir noch, sie ließen sich gut lindern und den Krebs aus dem Körper vertreiben. Wir sollten uns täuschen.
Das Leiden begann
Meine Mutter war stets kernig. Sie war eine Frau der Nachkriegsgeneration, die sich mit größter Ratio und ungebrochenen Durchhaltevermögen durch das Leben kämpfte. Von der Schulmedizin über alternative Heilmethoden probierten wir alles aus, was an Krebsbehandlungen möglich war. Doch letztlich ging es ihr mit der Zeit nur noch schlechter. Zuerst haderte sie mit der immensen Lebenseinschränkung in puncto Selbstständigkeit. Dann kamen noch große Schmerzen hinzu. Die Schmerzmittel trübten ihr Bewusstsein, weswegen sie irgendwann beschloss, sie nicht mehr zu nehmen.
An Weihnachten erkannte ich, wie stark sie physisch und psychisch unter der Krebserkrankung litt. Ihre Freude über die Enkelkinder war geprägt von größter Anspannung. Sie lächelte kaum noch und legte sich oft zum Dösen hin.
Im neuen Jahr sagte sie dann zu mir: „Sei mir nicht böse. Mein Leben ist vorbei. Meine Seele möchte nach Hause. Bitte, lass uns das erledigen. Ich will in die Schweiz.“
Anfangs begriff ich nicht, was sie damit meinte, da der Schock tief saß. Dann fügte sie hinzu: „Such mir bitte Organisationen zur Sterbehilfe heraus. Das ist mein letzter Wunsch, bitte.“ Das war der Anfang ihres Lebensendes.
Für Betroffene leichter als für Angehörige
Zu Beginn diskutierte ich noch mit meiner Mutter. Hatten wir wirklich alle Möglichkeiten auf Heilung oder Besserung ausgeschöpft? Ist Sterbehilfe überhaupt okay? Was bedeutet das für sie und für uns? Bei den unzähligen und intensiven Unterhaltungen mit meiner Mutter spürte ich, wie sicher sie sich war. Ihre größte Angst bestand darin, uns vor den Kopf zu stoßen. Sie glaubte, sie würde mit dem Freitod egoistisch handeln. Immerhin war sie stets für ihre Familie da gewesen. Jetzt bat sie darum, gehen zu dürfen.
Es war nicht leicht für mich, ihre Entscheidung zu akzeptieren und für diese alles vorzubereiten.
Die Vorbereitung selbst lief wie automatisiert ab. Gefühle versuchte ich außen vorzulassen, was mir ganz gut gelang. Was schwierig war, war der Gedanke an den Tag ihres Freitods. Er würde nicht plötzlich über uns einbrechen, sondern würde exakt geplant sein. Ist das hilfreich oder belastend? Ich wusste es nicht. Gefühle von Angst, Wut, Unsicherheit und auch Erleichterung machten sich in mir breit. Sie miteinander in Harmonie zu bringen, war eine Mammutaufgabe.
Ein fast unwirkliches Gespräch
Ich hatte eine Organisation für Sterbehilfe in der Schweiz kontaktiert. Zahlreiche Dokumente über den kritischen Gesundheitszustand meiner Mutter mussten wir einreichen. Dann folgte ein Gespräch mit einem Mitarbeiter der Sterbehilfe-Organisation. Es war unwirklich. Wir saßen zusammen an einem Tisch und sprachen über den Tod. Obgleich der Mitarbeiter sehr empathisch war, fühlte ich mich nicht ganz wohl. Doch das entspannte Gesicht meiner Mutter beruhigte mich. Sie war sich sicher: Ich will nicht mehr.
Als alle Bedingungen für die Freitodbegleitung erfüllt waren und meine Mutter erneut den Wunsch zu sterben bekräftigt hatte, wurde das Rezept für das Sterbemittel veranlasst. Wir vereinbarten dann in der Schweiz einen Termin, wann und wo sie dieses zu sich nehmen würde. Meine Mutter unterzeichnete noch eine Vollmachtserklärung, damit die Sterbehilfe-Organisation auf ihren Namen das Rezept in der Apotheke einlösen konnte.
Traurige Erleichterung
Mich graute es vor dem Termin. Ich hatte immer gedacht, dass der Tod einen überrascht. Jetzt hatte er ein Datum. Das war erschreckend. Ein paar Tage vor dem Termin verlor er jedoch den Schrecken, was meiner Mutter zu verdanken war. Sie freute sich wie ein kleines Kind auf ihre letzte Reise. Endlich keine Schmerzen mehr. Endlich kein Leid mehr. Anfangs war ich deswegen gekränkt. Wollte sie keine Zeit mehr mit mir verbringen? Wollte sie ihre Enkelkinder nicht mehr aufwachsen sehen? Doch dann machte ich mir wieder bewusst, was aus der starken, tapfereren Frau geworden war: ein trauriger, schmerzerfüllter und verzweifelter Mensch, der endlich nicht mehr kämpfen wollte.
An ihrem Todestag sprachen wir nicht viel. Es war dennoch eine innige Stimmung, die von einem seltsamen Frieden begleitet war.
Meine Mutter lag in einem schönen Bett, als sie das Medikament erhielt. Es war in einem Glas Wasser aufgelöst. Selbständig musste sie das Getränk an die Lippen führen und trinken. Sie hätte den Vorgang zu jederzeit stoppen können, aber das wollte sie nicht. Ich wusste das.
Nach Einnahme des Barbiturats drückte sie meine Hand und nickte glücklich. Sie sagte: „Danke. Ich hoffe, ich war dir eine gute Mutter. Mach es gut. Wir sehen uns wieder. Ich glaube an die Unsterblichkeit, nur nicht hier auf Erden.“ Wenige Minuten später war sie bereits in einem Tiefschlaf. Dann starb sie friedlich. Ich glaubte, eine Erleichterung im Gesicht zu erkennen, als sie ging. Ob das Einbildung war, weiß ich nicht.
Nach dem Freitod
Solch ein Freitod gilt als außergewöhnlicher Todesfall. Deswegen musste nach Feststellung ihres Todes die Polizei gerufen werden. Sie kam zusammen mit einem Amtsarzt und einem Staatsanwalt zur behördlichen Untersuchung. Über all das wusste ich vorab bereits Bescheid, weswegen es reine Formalien waren. Es wurde überprüft, ob alles nach gesetzlichen Vorschriften verlief.
Die Reise ohne meine Mutter nach Hause war am schlimmsten. Ich hatte so viel Zeit gehabt, mich auf ihren Tod vorzubereiten, aber als er eintrat, war es dennoch sehr schmerzhaft. Auf der Zugfahrt liefen mir oft die Tränen ohne Scham herunter. Ich stoppte sie nicht. Die Welt schien, für einen Moment stillzustehen. Die Gewissheit, dass meine Mutter nun glücklicher war als die letzten Jahre zuvor, brachte sie wieder zum Drehen. Heute blicke ich mit Stolz auf ihre Entscheidung zurück. Sie ist so gestorben, wie sie gelebt hatte: selbstbestimmt. Ob dies für mich eine Option ist, weiß ich nicht. Noch nicht.
Weitere Informationen und Quellen zum obigen Thema:
- (Un-)Sterblichkeit - Habe Ich Schon Einmal Gelebt?
- Sterbehilfe Für Und Wider
- (Un-)Sterblichkeit: Selbstbestimmtes Sterben Im Überblick
- In Anbetracht Des Todes: Was Bereuen Menschen? [6 Gründe]
- Verschiedene Arten Von Unsterblichkeit
- Gibt Es Ein Leben Nach Dem Tod?
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