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ebendig begraben zu werden, ist der Stoff, aus dem unsere Albträume sind. In einigen Horror- und Kriminalfilmen wird dieses Grauen thematisiert. Auch die Menschen im 18. und 19. Jahrhundert beschäftigten sich intensiv damit, aber nicht, um jemanden brutal zu töten oder zu quälen. Es ging vielmehr darum, keinen Menschen, der nur scheintot war, zu begraben. Hin und wieder kam es nämlich vor, dass ein Mensch für tot befunden wurde, aber im Grab oder der Gruft wieder das Bewusstsein erlangte. Manchmal konnte der Scheintote gerettet werden, manchmal nicht. In einigen Kulturen wurde dieses Phänomen auch mit der Unsterblichkeit in Verbindung gebracht.

Heutzutage hat sich die Medizin bereits dem Scheintod bedient, um Menschenleben zu retten. Wie das geschieht liest du hier. Ein spannendes Thema!

Ist der Tod wirklich eingetreten?

Es mag auf den ersten Blick erstaunen, aber die Definition, wann ein Mensch tot ist, hat sich über die Jahrhunderte geändert. Das begründet sich hauptsächlich in den neuen Erkenntnissen der Medizin. In früheren Jahrhunderten galt jemand als tot, wenn die Atemtätigkeit nicht mehr vorhanden war. Um dies zu überprüfen, gab es folgende Tests:

  • einen Spiegel vor den Mund halten
  • eine Kerze oder eine Feder unter die Nase halten
  • eine Schüssel Wasser auf die Brust stellen

Teilweise wurde auch Schmerztests verwendet, um den sicheren Tod festzustellen, wie:

  • Nadeln unter die Zehennägel treiben (Autsch!!)
  • Trompetenstöße ins Ohr
  • Riechsalz unter die Nase
  • Kitzeln des Schlund
  • heißen Siegellack auftragen
  • Glüheisen auf die Haut legen
  • Akkupunktieren des Herzens

Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts stieß ein Arzt in Österreich-Ungarn sogar dem Toten einen Dolch ins Herz oder schnitt seine Pulsadern auf. Auf diese Weise sollte sichergestellt werden, dass kein Scheintoter ist Grab kommt. Klingt brutal und zeigt, welche Angst man vor dem lebendig begraben werden hatte.

Auf untrügliche Todeszeichen achten

So manch vermeintliches Todeszeichen ist keines. Das erkannten auch die Menschen früherer Jahrhunderte. Deswegen wurde gelegentlich ein anderer ärztlicher Ansatz bezüglich des Scheintods verfolgt: Reglose wurden so lange als Scheintote erachtet, bis sich bei ihnen untrügliche Todesanzeichen wie Leichenfäulnis zeigten. Hierfür wurden Ende des 18. Jahrhunderts in Teilen Deutschlands Leichenhäuser eingerichtet, in denen die Toten konstant beobachtet wurden. Bis zum Begräbnis waren sie an sogenannten „Rettungsapparaten“ angeschlossen. Erst wenn sie tatsächlich als tot erachtet wurden, kamen sie in den Sarg.

Den Scheintod nutzen

Immer wieder ist von faszinierenden Erfahrungen mit dem Nahtod zu lesen. Aber der Scheintod wird aufgrund neuster Medizintechnik kaum noch thematisiert. Wird der Hirntod einwandfrei diagnostiziert, bestände laut Mediziner keine Hoffnung mehr. Der Hirntod sei somit die Konsequenz des klinischen Todes und damit dem Kreislaufstillstand, welcher zum Organversagen führt.

Wie es dennoch möglich sein kann, dem scheinbar sicheren Tod von der Schippe zu springen, zeigten vor ein paar Jahren US-Ärzte. Sie ersetzen das komplette Blut eines eigentlich tödlich verletzten Notfallpatienten durch eine eiskalte Salzlösung. Nach der aktuellen medizinischen Begrifflichkeit haben sie ihn damit getötet und anschließend wiedergeholt. Der Grund für diese Maßnahme ist bestechend einfach: Der Patient atmete nicht, hatte fast keine Hirnaktivität und keinen Herzschlag. Durch den Scheintod konnten die Ärzte den Verletzten für zwei Stunden auf Eis legen und währenddessen lebensrettende Eingriffe durchführen. Genannt wird dieses Vorgehen „Emergency preservation and resuscitation“ (Aufrechterhaltung und Wiederbelebung bei Notfällen). In Deutschland wird es als „künstlicher Scheintod“ bezeichnet.

Bewusst scheintot zur Lebensrettung

Der künstliche Scheintod hat mit Unsterblichkeit nicht direkt etwas zu tun. Dennoch zeigt er, eine gewisse Facette davon. Auf die Idee kamen übrigens Ärzte aus Norwegen. Sie behandelten 1999 eine Skisportlerin, die für 80 Minuten im Eiswasser lag. Die Vermutung, dass die Frau tot war, lag nah. Ihre Körpertemperatur befand sich bei 13,7 °C. Hirnströme verzeichneten die Apparate im Krankenhaus keine mehr. Der klinische Tod war eingetreten. Dennoch gaben die Ärzte nicht auf, sondern erwärmten das Blut außerhalb des Körpers und reicherten es mit Sauerstoff an. Das Ergebnis: Die Frau erwachte einige Tage später – ohne irgendwelche schwerwiegenden Folgeschäden.

Was ein bisschen wie Magie klingt, hat biochemische Ursachen. Zellen sterben, sofern sie keinen Sauerstoff erhalten. Somit kommt es bereits nach fünf Minuten zu Gehirnschäden. Bei der Sportlerin und Patienten in vergleichbaren Situationen hielt die große Kälte den Zerfallsprozess auf. Sie waren damit nicht unsterblich, aber ihre Zellen starben nicht sofort ab.

Für den künstlichen Scheintod eignen sich nicht alle Verletzten. In den USA führen Ärzte vereinzelt diese Lebensrettungsmaßnahme daher mit Personen durch, die mehr als 50 % ihres Bluts verloren haben und deren Herz nicht mehr schlägt. Ihre Überlebenswahrscheinlichkeit muss auf unter 5 % sinken. Dieser Fall tritt zumeist bei Patienten ein, die wegen Schuss- oder Stichverletzungen ins Krankenhaus kommen und normalerweise innerhalb weniger Minuten sterben würden. Dann pumpen die Mediziner das restliche Blut ab und ersetzen es durch eine eiskalte Salzlösung. Dadurch erreicht der Schwerverletzte eine Kerntemperatur von 10 bis 15 °C. Jetzt haben die Chirurgen ein zweistündiges Zeitfenster, um OPs am Patienten vorzunehmen. Im Anschluss erhält der Patient erneut Blut, seine Körpertemperatur wird aufgewärmt und das Herz beginnt zu schlagen. Mit der eiskalten Salzlösung „ergaunern“ sich die Ärzte damit einen Zeitpuffer. Das erbringt nicht immer das erwünschte Ergebnis, aber kann Leben retten.

Wie hoch die Erfolgsquote beim Verfahren des künstlichen Scheintods ist, lässt sich aufgrund der geringen Datenlage noch nicht absehen. Der Scheintod muss nicht wie einst für Angst sorgen, sondern kann sogar Hoffnung schenken.

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Photo by Adam Jícha on Unsplash

Publiziert am
May 27, 2022
 in Kategorie:
Der Tod

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